Dienstag, 18. Februar 2014

Zauberspruch für Verwundete

Heute möchte ich euch eines meiner allerliebsten Gedichte vorstellen. Es hat mich so berührt, dass es mir bis heute nicht aus dem Kopf gegangen ist. Wir waren in Dresden zu einem Poetry Slam. Dresden erfüllte mich zu diesem Zeitpunkt sowieso mit einem ganz seltsamen Gefühl. Vielleicht kennt ihr das, wenn euch bestimmte Städte ein Kribbeln im Bauch verursachen. Das Gedicht ist zwar sehr traurig, aber es hat mir geholfen durch eine "schwere" Zeit zu kommen (schwer liegt im Sinne des Betrachters). Ich fühlte mich so verstanden und irgendwie hat es Pauline Füg (die Dichterin) geschafft genau die Worte zu finden, die meine Gefühle beschrieben. Also ganz großes Kino! Ich bin immernoch schwer verliebt in ihre Worte. Ich hab sie euch hier niedergeschrieben mit ihrer Erlaubnis. Ich wünsche euch viel Spass beim Lesen. Und die Pauline? Die könnt ihr hier besuchen: http://paulinefueg.blogspot.de .

Viel Spass und ich würde mich über euer Feedback freuen.

Zauberspruch für Verwundete




Eins
Wir fahren nach Norden,
wir fahren von dort fort wo die Seehunde am Strand liegen.
Ich sehe dich an,
du bist ein bisschen weit entfernt.
Wir fahren,
wir fahren davon und dahin.
Ich will nicht mehr anhalten.
In deinen Augen liegt etwas zuviel Beton,
deine Schultern sind etwas zu schmal.
Ich sehe dich immer etwas zu lange an.
Deswegen sag ich einen Zauberspruch für Verwundete,
ich schwör einen Zauberschwur für Verwundete.
Das ist ein Zauberspruch für Verwundete, denn Weltfallsucht hat mir die Knie aufgeschlagen
und Fenster ist auch nur ein Blick in die Welt und Welt hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt.
Tag ist auch nur das Gegenteil von Nacht
und Nacht ist nur eine Frage der Zeit.

Zwei
Wir fahren immer um den Sonnenaufgang zu sehen,
aber meistens ist die Sonne schon nicht mehr da bevor sie den Horizont erreicht hat.
Denn wir halten an den falschen Stellen und fragen nichts mehr.
Du sagst, 
du hast Blätter im Haar und ich wünschte es wären Misteln.
Und ich mag keine Namen
und ich mag keine Straßen,
ich mag keine Zahlen 
und ich mag keine Gassen.
Am Straßenrand haben sie ein Auto leer geparkt
und ich halte schon nicht mehr Hand oder Atem
und Farbe ist auch nur eine Farbe des Lichts.
Ich seh schon überall alles ein, 
auch die Bucht und die Ecken.
Larven sind auch nur falsch gelagerte Nahrung.
Ich sag:
Wir atmen allein und hören alleine damit auf.

Drei
Uns ruft niemand an,
nicht auf dieser Fahrt,
nicht auf diesem Roadtrip Cowboy.
Manchmal sag ich zu dir “Halt, Halt an!”
Hier riecht es so wie es sein muss. 
Nach gehaltenen Händen und Versprechen.
Aber ja ich weiß.. 
Der Bremsweg wäre zu lang.
Das ist ein Zauberspruch für Verwundete und meine Knien sind aufgeschlagen.
Es ist so kalt geworden gerade und wird so schnell nicht mehr warm.
Die Felder sind leer und weit
und es ist auch nur irgendeine Jahreszeit ohne Erdbeeren.
Und Wolken sind auch nur ein Filter für Sonne.
Die Menschen sagen Schrift ist ein begrenzter Zeichenvorrat und was wichtig ist, 
ist nicht da.
Ich will das ihr meine Wörter seid,
aber ihr seid auch nur Sprache ins Nichts.

Vier
Wenn wir Einparken, halten um zu tanken, gräbt sich der Staub tiefer in unsere Haut.
Es ist der Geruch von Benzin.
Wir sehen uns an und küssen uns
und ich möchte Kleeblätter für dich suchen 
und vierspurige Autobahnen blind und zu Fuß überqueren.
Aber deine Lippen zucken
und Steine sind doch auch nur kleine Berge denk ich 
und alles ist halb so schlimm.
Meine Wimpern sind viel zu lang
und jemand hat sich meine Augenwinkel genommen und sich davon gestohlen,
so dass mir Weitsicht fehlt.
Hier bauen sie Wein an, auf geraden Straßen,
weil hier die Sonne anders scheint.
Deswegen sag ich ja den Zaubersatz für Verwundete,
ich schwör einen Zauberschwur für Verwundete,
ich spreche einen Zauberspruch für Verwundete.
Das ist ein Zauberspruch für Verwundete.
Das ist ein Zauberspruch für Verwundete.

Fünf
Plötzlich weiß ich,
wir werden immer so weiter fahren.
Ich werde immer im Rückspiegel zu sehen sein,
stupid little girl on the run.
Wir werden in Hotels schlafen,
zusammengerollte Raupen mit verhakten Zähnen 
und uns jeden Morgen an etwas klammern, was es nicht gibt.
In einem Punkt vielleicht oder an einem Ende oder ist es der Weg?
Und immernoch die Frage,
meine Knie sind nun einmal aufgeschlagen,
wer fährt morgen mit mir ans Meer?
Das ist heute wie Wochen zuvor,
allein und keine Flucht.
Wegen der Rücklichter sind mir die Finger klamm geworden,
ich zerschlage die Ellenbogen an der Fensterscheibe.
Es ist nur kein Blick in die Welt mehr.
Und Stifte hinterlassen auch nur eine Spur auf Papier.
Begradigte Flüsse engen mich ein.
Alles ist da und alles ist fort.
Ich bleib am Straßenrand stehen und warte bist du mich verloren hast,
denn jeder Morgen ist nur ein Warten auf Später

und Leben ist eine Frage der Geburt.


Eine letzte Anmerkung: Ich habe dieses Gedicht durch Heraushören von einer Videoaufnahme abgetippselt. 


2 Kommentare:

  1. Wow... das ist ein sooo tolles Gedicht... traurig, aber wirklich schön... Danke fürs Abtippen :)
    Ich mag diese poetry slam-Gedichte sowieso total gerne... Es steckt immer viel Wahres in ihnen... Riesen Respekt an die Dichter :)

    Shlomeee
    assyrian shimsho

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  2. Wow, dichter sollte einen Preis dafür bekommen-
    War wirklich schön so etwas zu lesen- bin eigentlich nicht der Fan von solchen Sachen aber hat nie gefallen.

    Liebst, http://dilanergul.blogspot.co.at/

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